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Drei Fragen an … Fokusgruppe 3 – Bedeutung von Kompetenzentwicklung und Führung für die Interaktionsarbeit

„Drei Fragen an…“ ist ein Kurzinterview-Format, in dem Projekte über ihre Arbeit berichten.

Datum 07.11.2022

Die Fokusgruppe 3 hat sich mit der Bedeutung von Kompetenzentwicklung und Führung für die Interaktionsarbeit beschäftigt. In der Rubrik „3 Fragen an …“ werden dieses Mal Fragen an die beteiligten Projekte (eLLa4.0, inkluServ, KILPaD, KomIn und teamin) aus der Fokusgruppe zu den Themen Führung mit Coachinghaltung, Kompetenzen in der Interaktionsarbeit sowie Förderung von Akzeptanz und Motivation bei Beschäftigten gestellt. Abschließend geht es um die Kompetenzentwicklung einer besonderen Zielgruppe.
Eines wird deutlich: Für gute Interaktionsarbeit sind spezifische Kompetenzen erforderlich, die es stärker zu berücksichtigen gilt und für die Schulungskonzepte entwickelt werden müssen, damit Beschäftigte und Führungskräfte für die Interaktionsarbeit mit KundInnen, PatientInnen oder die Interaktionsarbeit im Team auch entsprechend geschult werden können. Gerade auch vor dem Hintergrund von mehr digital unterstützter Interaktionsarbeit und virtueller Führung ein wichtiges Thema für Akteure in der Personalentwicklung und Weiterbildungsarbeit.

Was ist Führen mit Coachinghaltung?

Bisher verzichtet kaum eine Organisation grundsätzlich auf (modernisierte) hierarchische Steuerung. Zutreffender ist es von beidhändiger (ambidextrischer) Führung zu sprechen, die in der Lage ist zwischen hierarchischen und netzwerkförmigen Modi zu switchen. Führungskräfte müssen erkennen welche Handlungs- und Steuerungsimpulse die Organisation bzw. die Beschäftigten benötigen und situativ die Rollen von LeaderInnen, ManagerInnen, ExpertInnen und Coaches einnehmen können. Im Rahmen dieser Klaviatur gewinnt Führen mit Coachinghaltung zunehmend an Bedeutung. Es geht dabei um einen stärken-, ressourcenorientierten und vertrauensbasierten Führungsstil, der durch Coachingelemente angereichert ist. Die Führungskraft nimmt hier eine beratende, fördernde und partnerschaftliche Haltung ein. Inzwischen adressiert dieser Führungsstil nicht mehr nur VertreterInnen des mittleren oder gehobenen Managements, sondern ist mit Entwicklungen des Projektes teamin auch auf dem Shopfloor angekommen.

Führen mit Coachinghaltung bedeutet durch Zuhören, gemeinsames Reflektieren und Sinnstiften die Erkundung von Potenzialen und individuellen Verhaltens- bzw. Entwicklungsmöglichkeiten bei den Beschäftigten so zu stimulieren, dass eine am Organisationsnutzen orientierte Steigerung der Interaktionsfähigkeit erreicht wird. Diese Rolle unterscheidet sich nicht nur von TrainerInnen, sondern insbesondere auch von der Rolle, der Funktion, den Einsatzfeldern und Möglichkeiten interner und externer Coaches. Gleichzeitig befinden sich Führungskräfte immer in einem Rollenkonflikt, denn sie sind auch Vorgesetzte und damit VertreterInnen von Unternehmensinteressen.

Warum wird Führen mit Coachinghaltung wichtig?

Je mehr AkteurInnen an der Erstellung eines Produktes oder einer (hybriden) Dienstleistung beteiligt sind, je mehr Schnittstellen es in den erforderlichen Interaktionsprozessen gibt und je variabler und dynamischer die Reaktionen erfolgen, desto weniger kann dabei auf Routinen und Erfahrungen zurückgegriffen werden. Die zunehmende Umweltkomplexität von Organisationen spiegelt sich in einer Steigerung ihrer Binnenkomplexität. Traditionelle hierarchische Management- und Führungsformen geraten an die Grenzen ihrer Steuerungsfähigkeit. Sie durchlaufen eine Transformation (flacher, verteilter, temporärer), bleiben aber erhalten und werden mit netzwerkförmigen Koordinationsformen verbunden. Die Organisation wird durchlässiger für ständiges Feedback von außen (KundIn, LieferantIn, UserIn) und steigert intern ihre Lern- und Anpassungsgeschwindigkeit durch Dezentralisierung von Wissen und Entscheidungsmacht in dementsprechend zu empowernde selbstorganisierte Teams. Damit wird die Organisation instabiler, unberechenbarer, unübersichtlicher und tendenziell ändert sich damit die Funktion von Führung. Diese Entwicklung wird durch neue Möglichkeiten der Kommunikations- und Informationstechnologien forciert und durch einen allgemeinen Wertewandel unterstützt, ist aber nicht neu. Charles Handy hat diesen Vorgang bereits vor über 30 Jahren auf den Punkt gebracht: Whereas the heroic manager of the past knew all, could do all and could solve every problem, the post-heroic manager asks how every problem can be solved in a way that develops other people‘s capacity to handle it. (...) These organizations do not work if it is left to one person. Everyone has to be capable or nothing happens.» (Charles Handy 1989, zit. nach Krejci et al. 2012: 73)

Welche Kompetenzen werden zum Führen mit Coachinghaltung benötigt und wie lassen sie sich entwickeln?

Führen mit Coachinghaltung findet nicht in spezifischen Coaching-Settings, sondern in betrieblichen Alltagssituationen statt (z.B. ad-hoc-Gespräche, formalisierte Feedbackgesprächen, Kommunikation vor Ort oder auch über Distanz). Damit handelt es sich um eine Querschnittsfunktion von Führung basierend auf Interaktionskompetenz. Hier hinter verbergen sich verschiedenste kommunikative und soziale Kompetenzen und dementsprechende Instrumente: Fragetechniken, Feedbacktechniken, Äußern konstruktiver Kritik, Perspektivwechsel, Selbstreflexionsinstrumente etc. Die Vermittlung dieser Kompetenzen erfolgt im Rahmen umfassender (und kostspieliger) Schulungs- und Trainingsprogramme für Führungskräfte (z.B. systemische Ausbildungen), im Rahmen von Coachingausbildungen oder als ein- oder zweitägige Angebote spezifischer Themen. Die Wirksamkeit von Führung mit Coachinghaltung ist sicherlich von der Qualität der Interaktionskompetenzen, solider Weiterbildung, der Einbettung in passende organisationskulturelle Kontexte und der Akzeptanz der Beschäftigten abhängig. Grundsätzlich ist es als Führungskraft aber auch möglich niederschwellig im Arbeitsalltag einfach damit zu beginnen Führen mit Coachinghaltung zu erproben.

eLLa und teamIn haben im Rahmen der InWiGe-Fokusgruppe zudem eine kleine Podcastreihe entwickelt, in der die folgenden Fragen beantwortet werden:

  • Was ist eine Coaching-Haltung?
  • Wie funktioniert die Coaching-Haltung?
  • Was bringt Führung mit einer Coaching-Haltung?
  • Wie entwickelt man Führung mit einer Coaching-Haltung?
  • Digitalisiertes Coaching
  • Wie kann das Führen mit einer Coaching-Haltung gelingen?

QR-Code zur Podcastreihe der Fokusgruppe 3

Wer weiterlesen möchte: Literaturverzeichnis

Duwe, Julia (2020): Beidhändige Führung. Wie Sie als Führungskraft durch Ambidextrie Innovationssprünge ermöglichen, 2.Auflage, Berlin/Heidelberg: Springer Gabler.
Gergs, H.-J & A. Lakeit (2020): Agilität braucht Stabilität. Mit Ambidextrie Neues schaffen und Bewährtes bewahren. Stuttgart: Schaeffer-Poeschel Verlag.
Gerhard P. Krejci, Axel Dreher, Erika Kleestorfe (2012): Wie ent-heroisiert man Führungskultur? Erfahrungen eines Change Projektes der Triumph AG Österreich. In: OrganisationsEntwicklung 3/2012, S. 72-80.
Handy, Charles (1989): The age of unreason. Arrow Books Ltd.

Welche „Kompetenzen in der Interaktionsarbeit“ sind Ihrer Ansicht nach besonders wichtig und wie können Beschäftigte für diese Kompetenzen qualifiziert werden?

Je nach Dienstleitungsart und -branche differieren die spezifischen Kompetenzen. Grundsätzlich zeigt sich jedoch, dass die Personalkompetenzen (z. B. Belastbarkeit, Motivation, Ambiguitätstoleranz, Selbstführung) und die Sozialkompetenzen (z. B. Kommunikation, Dialogbereitschaft, Konfliktfähigkeit) zentral für eine gelungene Interaktionsarbeit sind. Auch erweist es sich als hilfreich Personalentwicklungsmaßnahmen digital gestützt durchzuführen – sei es in Lernfabriken mit digitalen Werkzeugen und Planspielen oder in Form von Blended-Learning. So können nicht nur spezifische Inhalte und Wissen vermittelt werden, sondern zugleich auch (informell) digitale Kompetenzen gestärkt werden.
Im Projekt teamIn steht die interne Interaktionsarbeit zwischen den Mitarbeitenden im Zentrum. Hierbei wurde zum einen der Shopfloor (in der Produktion und Montage) und zum anderen Projektteams fokussiert. Sowohl auf dem Shopfloor als auch im Projektteam ist die Teaminteraktion zentral für eine gute Zusammenarbeit. Für eine gelingende Teaminteraktion sind neben fachlichen Kompetenzen auch soziale und methodische Kompetenzen wichtig. Hierbei konnten insbesondere Kommunikationskompetenz, Motivationskompetenz und Belastbarkeit als zentral identifiziert werden. Aufgrund der neuen digitalen Technologien und der COVID-19-Pandemie finden Teile der Interaktion, welche im Rahmen des Shopfloor Managements traditionell in Präsenz stattgefunden haben, mehr und mehr auch im digitalen Raum statt. In den indirekten Bereichen sind digitale Interaktionsformate zum Standard geworden. Dabei spielen Gestik und Mimik keine geringere Rolle als in Präsenz, allerdings sind diese schwieriger zu vermitteln. Mitarbeitende und Führungskräfte müssen entsprechend für die neuen digitalen Interaktionsformate geschult werden. Hierbei ist es wichtig die neuen digitalen Instrumente zu erleben, aber auch zu erlernen. Hierfür eignen sich Lernfabriken und Planspiele in denen die Alltagssituationen in einer realen betrieblichen Situation, zum Beispiel einer Produktion, nachgestellt werden. Anschließend erfolgt die Reflektion mit den Teilnehmenden zu dem Erlebten, wodurch die Teilnehmenden die Stärken und Schwächen der digitalen Interaktion erleben und somit auch deren Umgang erlernen.
Im Projekt KomIn konnten acht Kompetenzbereiche für die Interaktionsarbeit zwischen Pflegenden und Pflegeempfangenden sowie zwischen Pflegenden und anderen am Pflegeprozess beteiligten Berufsgruppen (z.B. ÄrztInnen, sozialer Dienst, Hauswirtschaft) identifiziert werden: Dialogbereitschaft, Konfliktfähigkeit, Lösungsorientierung, Machtsensibilität, Kollektive Orientierung, Ambiguitätstoleranz, Selbstführung, Veränderungsenergie. Diese Kompetenzbereiche wurden wiederum durch verschiedene Items operationalisiert, empirisch überprüft und im Rahmen einer webbasierten Applikation zur Verfügung gestellt. Der hierfür entwickelte Kompetenzindikator bietet die Möglichkeit, Kompetenzen für die Interaktionsarbeit in der Langezeitpflege strukturiert und den verschiedenen Qualifikationsniveaus entsprechend zu identifizieren und sie zu stärken: Zum einen können Pflegende mit Hilfe des Indikators eine Selbsteinschätzung bezüglich ihrer Kompetenzausprägungen vornehmen. Zum anderen kann durch die jeweilige Führungskraft auch eine Fremdeinschätzung erfolgen. Beide Perspektiven – Selbst- und Fremdbild – können anschließend in einem Personalentwicklungsgespräch abgeglichen und entsprechende Maßnahmen für eine spezifische Weiterentwicklung oder Änderung der Arbeitsorganisation abgeleitet werden. Um die Kompetenzentwicklung nachhaltig zu gestalten, wurde ein Blended-Learning Konzept entwickelt und erprobt. Ein fester Bestandteil sind dabei gezielte Lerntransferaufgaben für die Teilnehmenden. Dabei werden Lerninhalte auf den eigenen Arbeitsbereich übertragen und wirken sich somit direkt auf das eigene Arbeitshandeln und -erleben aus. (Projekte KomIn und teamIn)

Wie können Akzeptanz und Motivation der Beschäftigten insbesondere bei Veränderungen durch Digitalisierungsvorhaben gestärkt werden? Was ist besonders wichtig und welche Fehler sollten unbedingt vermieden werden?

Die Digitalisierung der Unternehmenswelt wird von Diskursen rund um das Thema Akzeptanz begleitet. Die Digitalisierung stellt keine bloße technische Fixierung bestimmter Abläufe dar, sondern hat es in Organisationen mit Entscheidungen zu tun – und eben hierauf sensibilisiert der Akzeptanz-Begriff. Einerseits stehen mit jeder neuen Technik im Zuge der Digitalisierung Entscheidungen über deren Nutzung an. Andererseits verändert sich mit der Digitalisierung die Medialität der Organisation und damit auch der Kommunikation und Übertragung von Entscheidungen.
Damit einhergehend greifen Digitalisierungsvorhaben immer auch irritierend in bereits bestehende Akzeptanz-Regime ein, mit denen die Übernahme bzw. Übertragungen von alltäglichen Entscheidungen ermöglicht und organisiert wird. Ein Infragestellen von Digitalisierungsvorhaben durch AnwenderInnen markiert also zugleich immer auch eine Akzeptanz der bisherigen Praxis. Insofern können Best Practices zur Akzeptanzgewinnung zwar anregend sein, jedoch gilt es diese unter den Vorzeichen der eigenen Organisationsgeschichte und den darin bewährten Akzeptanz-Regimen auf die eigene Organisation zu übertragen.
Durch KILPaD haben wir beobachten können, dass Akzeptanz-Förderung dann gelingt, wenn die Problematisierungen der AnwenderInnen nicht im Modus des Als-ob bearbeitet werden, sondern ernst genommen und produktiv genutzt werden: Die Kommunikation mit AnwenderInnen die Übernahme von kritischen Hinweisen oder das Hinzufügen von technischen Features fördert nicht nur Akzeptanz, sondern dient zugleich der erfolgreichen Einpassung des Digitalen in die lokalen Entscheidungs- und Arbeitszusammenhänge und sorgt für ihre kreative Aneignung.
Je unmittelbarer die Probleme der analogen Praxis an ihrer Digitalisierung beteiligt sind, das heißt Chancen haben, die Technik kennenzulernen und an den gewünschten Vorteilen mitzuarbeiten, und je stärker es einen gegenseitigen Bezug zwischen dem Kennenlernen des digital Möglichen und der Arbeit an den erwarteten Vorteilen der digitalisierten Praxis gibt, desto innovativer ist die neue digitalisierte Praxis und desto stärker wird diese akzeptiert. Für die Erreichung von Akzeptanz geht es also darum, die Frage nach der Akzeptanz so zu stellen, dass die Betroffenen von Digitalisierungsentscheidungen zu MitentscheiderInnen erden.
Je stärker es einen gegenseitigen Bezug zwischen den Erfahrungen mit digitalen Techniken und den erwarteten Vorteilen der (künftig) digitalisierten Praxis gibt und je besser die digitalen Möglichkeiten verstanden sind, desto innovativer gestaltet sich die neue digitalisierte Praxis. Wo stattdessen die Organisation einen DienstleisterInnen mit einem klaren Auftrag zur Digitalisierung versieht, ohne die Möglichkeiten des Digitalen selbst zu erkunden, erfolgt tendenziell eine reine Übersetzung ins Digitale, die Potentiale des Digitalen als motivierenden Raum an Möglichkeiten zur Weiterentwicklung ungenutzt lässt. (Projekt KILPaD)

Abschließend eine Frage zur Kompetenzentwicklung für eine besondere Zielgruppe: Welche Kompetenzen sind für die Interaktionsarbeit von AuslieferungsfahrerInnen mit Behinderung zentral?

Im Projekt InkluServ wurden AuslieferungsfahrerInnen mit geistiger Behinderung für die Interaktionsarbeit mit KundInnen geschult. In der partizipativen Optimierung der Zusammenarbeit mit den KundInnen stellten sich folgende Kompetenzschwerpunkte als besonders relevant heraus:

  • Kompetenzen für Kooperationsarbeit: Die FahrerInnen bewegten sich in der KundInneninteraktion stark auf der Beziehungsebene. Priorität hatte für sie, dass ein guter und harmonischer Kontakt mit den KundInnen erreicht wurde. Entwicklungsziel war eine gesunde Abgrenzung von den Interessen des Kunden/ der Kundin, ohne unhöflich zu werden, und eine selbstbewusste Aushandlung von Interessen.
  • Kompetenzen für Emotionsarbeit: Wurde der harmonische Kontakt mit KundInnen z.B. wegen einer Reklamation nicht erreicht, traf dies die FahrerInnen manchmal auf der emotionalen Ebene. Entwicklungsziel war, die eigene Selbstsicherheit zu erhöhen und unabhängig vom Ausmaß der Freundlichkeit der KundInnen zu handeln.
  • Kompetenzen für subjektivierendes Arbeitshandeln: Bei unerwarteten Zwischenfällen kam es teilweise zu einem Abriss des sozialen Skripts, d. h. einer vorübergehenden Sprachlosigkeit oder einem Übersprungverhaltens der FahrerInnen. Entwicklungsziel war, eine Lösung für das unerwartete Problem zu finden und Unterstützung vom Disponenten per Assistenzsystem anzufordern.
  • Kompetenzen für Gefühlsarbeit: In seltenen Fällen zeigten die FahrerInnen angesichts von unhöflichem Verhalten der KundInnen spontane Gefühlsäußerungen, die über die informelle Norm des gewünschten Dienstleistungsverhaltens hinausgingen. Wichtig war das Eingehen auf die erlebten Gefühle der FahrerInnen sowohl von Seiten der DisponentInnen als auch die proaktive Reflektion solcher Emotionen im Rahmen der Qualifizierungsmaßnahmen. (Projekt InkluServ)

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