Gestaltung digital unterstützter Interaktionsarbeit von schwerbehinderten Auslieferungsfahrern (InkluServ)
Digitale Unterstützung ermöglicht Interaktionsarbeit von Menschen mit Schwerbehinderung |
Interaktionsarbeit bietet Menschen mit Behinderung die Chance auf echte Inklusion in die Arbeitswelt. Im Rahmen des Projekts InkluServ entsteht ein digitales Assistenzsystem für AuslieferungsfahrerInnen mit Behinderung, die für einen inklusiven Supermarkt arbeiten. Eine Kombination aus E-Lastenbike und barrierefreier digitaler Ausrüstung soll die FahrerInnen in die Lage versetzen, selbständig zu arbeiten und in die direkte Interaktion mit Kunden zu gehen.
Projektüberblick
Förderbekanntmachung: |
Zukunft der Arbeit: Arbeiten an und mit Menschen | |
Laufzeit: |
01.08.2019 bis 31.07.2022 | |
Schlagworte: |
Inklusion, Lieferdienst, Assistenzsystem, Interaktionsarbeit, Wertschätzung | |
Anwendungsfelder: |
Lieferdienste inklusiver Einrichtungen und Märkte, allgemeine Logistikdienstleister, regionale Einkaufsverbände, Einkaufshilfen für Familien / Kinder sowie kranke / ältere Menschen, barrierefreie | |
Selbsteinschätzung des Projekts in zentralen Dimensionen:
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Kontakt: |
David Kremer Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) Nobelstraße 12, D-70569 Stuttgart Tel.: +49 (0) 711 970 - 2223 | |
Weblink: |
Projektspezifikation
Projektabstract
Von den 2,6 Millionen erwerbstätigen schwerbehinderten Menschen in Deutschland arbeiten 367.000 in Handel und Gastgewerbe, weitere 310.000 sind in 683 Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) beschäftigt. Die Werkstätten sehen in digitalen Assistenzsystemen eine entscheidende Chance, die körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen von schwerbehinderten Mitarbeitern auszugleichen und damit die Beschäftigungsfähigkeit zu verbessern. Interaktionsarbeit bietet schwerbehinderten Beschäftigten die Chance auf echte, d.h. unmittelbare Inklusion in die Lebens‐ und Arbeitswelt von Nichtbehinderten, wie sie von der UN‐Behindertenrechtskonvention gefordert wird. Ziel des Forschungsprojekts InkluServ ist daher, mittels eines digitalen Assistenzsystems schwerbehinderte MitarbeiterInnen in die Lage zu versetzen, außerhalb der unmittelbaren Betreuungsbereiche der Werkstätten selbständig Interaktionsarbeit mit Kunden zu leisten.
Verständnis von Interaktionsarbeit
Direkte (Kunden) und indirekte (Disponent über Fahrer-App) Mensch-Mensch-Interaktion, ergänzt durch digitale Interaktionsunterstützung
Durch die Einbindung des Kunden als Ko‐Produzenten, wird die Interaktionsarbeit zu einem zentralen Bestandteil der Dienstleistungsarbeit und damit auch der Arbeitsforschung (Böhle & Glaser, 2006). Mit etwas unterschiedlicher Schwerpunktsetzung wird in der wissenschaftlichen Diskussion auch von dialogisch‐interaktiver Erwerbsarbeit (Hacker, 2009) und interaktiver Arbeit (Dunkel & Weihrich, 2010) gesprochen. Die Integration des Dienstleistungsempfängers / Kunden / Klienten in die Leistungserbringung ist ein charakteristisches Merkmal der Dienstleistungsarbeit (Sampson, 2010). Je nach Dienstleistung kann die Art und Intensität der Mitwirkung variieren: In manchen Fällen ist die körperliche Anwesenheit erforderlich (Friseur, Zahnarzt), in anderen müssen Daten bereitgestellt und Fragen beantwortet werden (Steuerberatung). Mal gilt es, lediglich den Zugang zu Gebäuden oder Objekten zu ermöglichen (Gebäudereinigung, technischer Service), mal findet eine intensive inhaltliche Zusammenarbeit statt (Pflege, Montage von Anlagen, Management Consulting).
Projektziel
Ziel des Forschungsprojekts InkluServ ist die Entwicklung eines digitalen Assistenzsystems für MitarbeiterInnen mit Behinderung eines inklusiven Supermarkts. Das Assistenzsystem soll schwerbehinderte AuslieferungsfahrerInnen in die Lage versetzen, ihre Kunden mit dem E-Lastenbike zu erreichen. Damit kann die Warenauslieferung selbstständig durchgeführt und außerhalb der unmittelbaren Betreuungsbereiche selbstständig mit Kunden interagiert werden. Dazu wird das barrierefreie Assistenzsystem auf mobilen Pads der WEK Werkstätten installiert. Es enthält die Module Tourenplanung, Navigation, Interaktionsunterstützung und Webshop. Eine fahrer-individuelle Tourenplanung, vielfältige digitale / organisatorische Präventionsmaßnahmen und eine umfassende Qualifizierung sorgen für die Sicherheit der AuslieferungsfahrerInnen.
Ausgangslage bzw. Motivation zum Projekt
Die Chancen und Risiken der Digitalisierung, die ArbeitnehmerInnen in der Arbeitswelt 4.0 in Hinsicht auf Beschäftigungseffekte und Arbeitsqualität zu erwarten haben, werden kontrovers diskutiert (Dengler & Matthes 2015; Wolter et al. 2015; Institut der deutschen Wirtschaft 2016; Frey & Osborne 2013). Da sich die betreffenden Studien überwiegend auf den ersten Arbeitsmarkt im privatwirtschaftlichen und öffentlichen Sektor beziehen (vgl. VDI/VDE‐Gesellschaft 2016), sind die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Sozialwirtschaft, die im Dienstleistungssektor angesiedelt ist, mit noch mehr Unsicherheit behaftet. Entsprechend großen Orientierungsbedarf zu Digitalisierungseffekten haben Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM) und Inklusionsbetriebe (Engels 2016; Werkstätten:Tag 2016; IG Metall 2017). Noch stärker als im ersten Arbeitsmarkt, sieht diese Branche eine entscheidende Chance der Digitalisierung in Assistenzsystemen, die behinderungsbedingte körperliche und psychische Einschränkungen ausgleichen können und damit die Beschäftigungsfähigkeit verbessern (ZB Online 2017; Revermann & Gerlinger 2010; Aktion Mensch 2016). Sorge besteht dagegen, ob die steigenden Kompetenzanforderungen digitalisierter Arbeit die Inklusion schwerbehinderter MitarbeiterInnen in den ersten Arbeitsmarkt zusätzlich erschweren (Engels 2016; vgl. acatech 2016). In diesem dynamischen Umfeld bietet Interaktionsarbeit für die Beschäftigung schwerbehinderter MitarbeiterInnen mehrere Vorteile. Wissens‐ und Kompetenzanforderungen steigen in Branchen wie Handel und Gastgewerbe nicht so stark wie in der Industrie, die sich stärker im Fokus der Digitalisierung und Industrie 4.0 befinden (vgl. Arbeitskreis Smart Service Welt 2014; LAG WfbM Baden‐Württemberg 2014/2015/2016; Arntz et al. 2016). Zum anderen ist die Dienstleistungsbranche von konjunkturellen Schwankungen unabhängiger, was die Beschäftigungssicherheit erhöht. Zusätzlich bietet Interaktionsarbeit schwerbehinderten Beschäftigten die Chance auf echte, d.h. unmittelbare Inklusion in die Lebens‐ und Arbeitswelt von Nichtbehinderten, wie sie von der UN‐Behindertenrechtskonvention gefordert wird (Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen 2017). Der direkte Kontakt zwischen schwerbehindertem Servicepersonal und nichtbehinderten Kunden fördert die erlebte Wertschätzung und den Dienstleistungsstolz der schwerbehinderten MitarbeiterInnen, weil sie vom Kunden als eigenständige Persönlichkeit wahrgenommen werden und weniger als betreute Person. Digitale Unterstützung sollte schwerbehinderte MitarbeiterInnen deshalb in die Lage versetzen, außerhalb der unmittelbaren Betreuungsbereiche der Werkstätten und Inklusionsbetriebe selbständig Interaktionsarbeit mit Kunden zu leisten.
Forschungsgegenstand
- Ermöglichung und Gestaltung mobiler Interaktionsarbeit
- Kompetenzentwicklung schwerbehinderter MitarbeiterInnen für Interaktionsarbeit
- Emotionsarbeit und Interaktionsarbeit
- Präventive Arbeitsgestaltung von Interaktionsarbeit
- Entwicklung digitaler Unterstützungsfunktionen für mobile Interaktionsarbeit
- Erweiterung von Arbeitsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung
Forschungsfragen
- Welche Anforderungen stellt die Interaktionsarbeit speziell an die Zielgruppe der Schwerbehinderten (vgl. Böhle, Stöger & Weihrich 2015; Becke & Bleses 2015; Dunkel & Weihrich 2014; Weihrich & Dunkel 2003), und wie lassen sich bestehende Modelle der Interaktionsarbeit entsprechend erweitern?
- Welche Kompetenzen können Schwerbehinderte in die Interaktionsarbeit einbringen, und welche sollten entwickelt werden (Ebke & Däuble 2015; INQUA 2015)?
- Welcher Unterstützungsbedarf der Schwerbehinderten ergibt sich und wie können Arbeitsgestaltung, Kompetenzentwicklung und digitale Assistenzsysteme passgenau auf den Unterstützungsbedarf ausgerichtet werden (vgl. ePflege 2017)?
Forschungsdesign und -methodik
Im ersten Schritt des Forschungsprojekts werden die Anforderungen der Interaktionsarbeit an die Beteiligten analysiert. Dies betrifft vor allem Anforderungen an die schwerbehinderten AuslieferungsfahrerInnen, die an den Interaktionspunkten mit Kunden und in erfolgskritischen Situationen des Auslieferungsprozesses entstehen. Anschließend werden die ermittelten Anforderungen mit den Fähigkeits‐ und Kompetenzprofilen der AuslieferungsfahrerInnen abgeglichen und Unterstützungsbedarfe identifiziert. Die darauf abgestimmte Qualifizierungsstrategie setzt partizipative Maßnahmen zur Kompetenzentwicklung für die Tätigkeit als AuslieferungsfahrerIn um. Die ermittelten Unterstützungsbedarfe fließen in die Entwicklung des digitalen Assistenzsystems ein, dessen Module barrierefrei gestaltet werden. Die Implementierung des Gesamtsystems wird durch laufende Evaluation und Optimierung begleitet.
Projektkonsortium
Projektkoordinator | ||
WEK Werkstätten Esslingen-Kirchheim gGmbH | ||
Wissenschafts- oder Praxispartner: Praxispartner | Branche: | Standort (Hauptsitz): Esslingen |
Aufgabe im Projekt: Umsetzung des digital unterstützten Geschäftsmodells „Auslieferungsfahrten per E-Lastenfahrrad durch schwerbehinderte Mitarbeiter“ | ||
Kurzbeschreibung zum Partner: Als anerkannte Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) unterstützt die WEK seit 1984 knapp 400 Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Seit 2017 ist die ARBEG Care gGmbH Tochterfirma der WEK, eine WfbM in der 80 Menschen mit psychischen Beeinträchtigung arbeiten, ebenso wie das Inklusionsunternehmen ARBEG Inklusion gGmbH. Die Integration in Arbeit ist die zentrale Aufgabe der WEK. Die WEK betreibt als inklusive Werkstattbetriebe den Supermarkt „Um’s Eck“, das „Café Morlock“ und „s’Maultaschenlädle“, in denen überwiegend schwerbehinderte Mitarbeiter beschäftigt sind. Die WEK ist nach DIN EN ISO 9001-2008 zertifiziert und besitzt eine AZAV-Zertifizierung für die Arbeit als Bildungsträger. | ||
Projektpartner | ||
GTS Systems und Consulting GmbH | ||
Wissenschafts- oder Praxispartner: Praxispartner | Branche: Logistikberatung | Standort (Hauptsitz): Aachen |
Aufgabe im Projekt: Konzeption und Implementierung des digitalen Assistenzsystems für schwerbehinderte AuslieferungsfahrerInnen | ||
Kurzbeschreibung zum Partner: Die GTS Systems and Consulting GmbH bietet innovative Beratung und Software für Optimierung, Transport und Logistik an. Die Software-Lösungen erlauben das lückenlose Management von Mitarbeitern, Fuhrparks und anderen Ressourcen und erhöhen die Effizienz von Planung und Disposition. Zu den Kunden von GTS gehören Großunternehmen wie BMW, Deutsche Post/DHL, easyJet, FES, GLS und UPS, wie auch zahlreiche KMU aus unterschiedlichen Branchen und Ländern. Im Bereich der Beförderung von Behinderten sowie in der Branche der Non-Profit-Organisationen zählen u. a. Die Johanniter, St.-Vitus (Meppen), Berlin mobil, Hilfswerk Kärnten, Lebenshilfe Gießen, Humedica und Rehaklinik Sendesaal (Bremen) zu den Kunden. Das Unternehmen wurde 1999 gegründet und ist nach ISO/IEC 27001/2013 zertifiziert. |
Projektpartner | ||
Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO | ||
Wissenschafts- oder Praxispartner: Wissenschaftspartner | Branche: Wissenschaft | Standort (Hauptsitz): Stuttgart |
Aufgabe im Projekt: Anforderungsanalyse und Evaluation der digital unterstützten Interaktionsarbeit von schwerbehinderten Auslieferungsfahrern | ||
Kurzbeschreibung zum Partner: Das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart ist seit über 35 Jahren ein renommierter Anbieter von Forschungsdienstleistungen. Im Geschäftsfeld Dienstleistungs- und Personalmanagement bestehen umfassende Erfahrungen in den Bereichen Entwicklung, Test und Optimierung von Dienstleistungen. Schwerpunkte sind die Gestaltung von Geschäftsmodellen, das Management von Interaktionsarbeit, der Test von Servicetechnologien und die Qualifizierung von Dienstleistungspersonal. |